🇩🇪 Öl für weniger als nichts? Wie es dazu kam 🇩🇪
Der 20. April 2020 wird in die Geschichte des Ölmarktes als der Tag eingehen, an dem der US-Referenzpreis für Rohöl zum ersten Mal unter null Dollar gefallen ist. Die Terminkontrakte für ein Barrel der Sorte West Texas Intermediate (WTI) zur Lieferung im Mai erlitten einen massiven und noch nie dagewesenen Preissturz auf minus 37,63 Dollar. Die spektakuläre Entwicklung war nicht zuletzt auf einen Eigenart der Öl-Futures zurückzuführen. Gleichzeitig trat aber auch eine wichtige Erkenntnis über den Ölmarkt im Zeitalter des Coronavirus und die Folgen eines Preiskampfes zutage: Der wichtigste Rohstoff der Welt verliert schnell an Wert, da ein chronisches Überangebot die Rohöllager, Pipelines und Supertanker weltweit überschwemmt.
1. Warum sollte jemand dafür zahlen, sein Öl zu verkaufen?
Für einige Produzenten kann dies auf lange Sicht billiger sein, als die Förderung ganz einzustellen oder Lagermöglichkeiten zu finden. Viele befürchten, eine Einstellung ihrer Produktion könne für sie zu einem dauerhaften wirtschaftlichen Schaden führen. Zusätzlich gibt es noch Händler, die Futures-Kontrakte für Öl nur kaufen, um auf Preisbewegungen zu wetten, und nicht vorhaben, die physische Lieferungen des Öls in Anspruch zu nehmen. Sie können von abstürzenden Preisen auf dem falschen Fuß erwischt werden und müssen dann entweder Lagerkapazitäten finden oder das Öl mit hohem Verlust verkaufen. Allerdings werden die Lagermöglichkeiten durch die Ölschwemme knapp und erheblich teurer.
2. Wo kommt das ganze Öl her?
Die Corona-Pandemie oder der Preiskampf alleine hätten schon die Energiemärkte erschüttert. Doch zusammen stellten sie die Märkte auf den Kopf. Als das Virus begann, sich auf der ganzen Welt auszubreiten, wirkte sich das auf die Ölnachfrage aus. Während Länder wie Italien zeigten, zu welchem wirtschaftlichen Schaden ein nationaler Stillstand des öffentlichen Lebens führen kann, eskalierte der Preiskrieg zwischen den größten Ölproduzenten der Welt, Saudi-Arabien und Russland. Ein Abkommen über Förderbeschränkungen scheiterte und beide Länder fuhren ihre Ölproduktion voll hoch, was zu Rekordmengen an Rohöl auf dem Markt führte.
3. Gab es diesbezüglich nicht einen Deal?
Ja. Die OPEC, Russland, die USA und die G20-Länder hatten einen Deal ausgearbeitet. Allerdings erwies sich die vorgesehene Reduzierung der gesamten Fördermenge um rund 10% als zu wenig und zu spät. Zunächst fielen die Preise in obskuren Nischen des US-Markts wie Wyoming, wo es nur wenige Lagermöglichkeiten gibt, ins Negative. Anschließend registrierten auch wichtige Hubs negative Preise bei kleineren Sorten ausgewählter Rohöle. Und am 20. April fielen die Preise an der NYMEX, der größten Terminbörse für Energie in Nordamerika, deutlich unter Null.
4. Was hatten Terminkontrakte damit zu tun?
Die tiefsten Preise gab es im Futures-Handel. Bei den Kontrakten verpflichtet sich ein Käufer zu einem Ankauf zu einem vereinbarten Preis an einem festgelegten Zeitpunkt. Futures werden hauptsächlich als Absicherung gegen Preisschwankungen genutzt, aber auch zum Zwecke der Spekulation. Die Terminkontrakte haben ein Verfallsdatum. Händler, die ihre Position nicht auflösen oder die Lieferung nicht annehmen möchten, ersetzen den Future kurz vor seinem Ablauf mit dem nächsten Kontrakt, der einen Monat später endet. Das Verfallsdatum des Future zur Lieferung im Mai war der 21. April, was am Tag davor enorm hohen Druck auf Händler ausübte, deren Kontrakte am Auslaufen waren. Aufgrund der geringen Nachfrage und schwindenden Lagerkapazitäten war für sie der Verkauf zu einem hohen negativen Preis die bessere Option, als die tatsächliche Lieferung des Öls.
5. Was ist mit den anderen Ölpreisen?
Die Rohölsorte Brent ist die europäische Benchmark und fiel am 20. April auch deutlich, lag aber immer noch über 25 Dollar je Barrel. Der physische inländische Rohölmarkt in den USA verzeichnete negative Geschäfte für Sorten wie WTI in Midland, Mars Blend, Light und Heavy Louisiana Sweet Crude. Entsetzt über die negativen Referenzpreise fingen einige US-Ölproduzenten damit an, zum ersten Mal seit dem Einbruch des Ölpreises zwischen 2014 und 2015, Rohöl zu einem Festpreis anzubieten. Der Futures-Kontrakt für die Rohölsorte WTI zur Lieferung im Juni wechselte am 20. April den Besitzer bei 20 Dollar je Barrel, bevor er in den nächsten Tagen weiter zurückging. Dies zeigt, dass der Einbruch eher durch die massive Überlastung des Marktes statt einer technischen Eigenart verursacht wurde. Einem führenden Handelshaus zufolge können zunehmende Engpässe bei den Lagerkapazitäten auch zu einem negativen Trend der Juni-Kontrakte führen.
6. Was passiert mit den Lagern?
Die Mischung aus steigendem Angebot und fallenden Preisen führt zu extrem geringen Lagerkapazitäten. Die Lagerbestände in Cushing im US-Bundesstaat Oklahoma – Amerikas wichtigstem Handelsplatz für WTI – sind seit Ende Februar um 48% auf fast 55 Millionen Barrel gestiegen. Laut der Energy Information Administration (EIA) verfügte der Hub zum 30. September über eine Lagerkapazität von 76 Millionen Barrel. Die Industrie greift inzwischen auf eine Zwischenlagerung von Öl auf See zurück, während über andere Optionen wie die Lagerung von Öl in Kesselwagen nachgedacht wird. Die Trump-Administration zeigt sich besorgt über die möglichen Auswirkungen von Insolvenzen im Öl-Sektor und denkt darüber nach, die Produzenten dafür zu bezahlen, ihr Öl vorübergehend im Boden zu belassen – das dann Teil der staatlichen Notreserve wird. Damit soll Öl vom Markt ferngehalten werden, bis sich die Preise erholt haben. Der Plan würde dem Finanzministerium letztendlich einen ordentlichen Gewinn bescheren und gleichzeitig die Produzenten vor unmittelbaren Verlusten schützen.